Letter to Zdenek

Letter from Felix Game to his high school teacher Prof. Zdenek in Gmunden. (Written 1952, summarizing the first impressions after arriving in Canada).


Lieber Herr Professor!

Wahrscheinlich haben Sie mich inzwischen schon in die Gruppe jener eingestuft, die leichtfertig ein Versprechen geben und dabei gar nicht daran denken es auch zu halten. Tatsächlich aber habe ich systematisch Material gesammelt, um Ihnen einen ziemlich genauen Überblick über meine Eindrücke geben zu können. Wie ich von Freunden erfahren habe, kann man in österreichischen Zeitungen ziemlich viel über Kanada lesen. Möglicherweise werden einige meiner Ausführungen im Widerspruch mit solchen Zeitungsberichten sein, deshalb möchte ich hier versichern, daß Alles was ich schreibe, tatsächlich Gesehenes und Erlebtes ist.

Einen natürlichen Beginn finde ich in meiner Ankunft auf kanadischem Boden. Am 2. Oktober (1951) kam ich in Québec an. Bevor ich noch etwas vom Land selbst sah, kam die Einwanderungskommission an Bord um die Landungsformalitäten zu erledigen. Zum Unterschied von den österreichischen Beamten, waren diese Männer sehr freundlich und den Gedanken, daß die kanadischen Beamten sich dessen bewußt sind, daß sie für die Leute da sind und nicht umgekehrt, fand ich später in allen Ämtern bestätigt.

Als ich dann an Land durfte, fiel ich dann einigen Damen von der Catholic Women's League in die Hände. Diese waren wieder überaus freundlich und bemühten sich in einer rührenden Weise etwas für mein Seelenheil zu tun. Wie ich später aufgeklärt wurde, ist Québec eine französische Provinz und streng katholisch. Beim Anblick der vielen Einwanderer hatte ich böse Ahnungen für die Bahnfahrt, mußte aber wieder erkennen, daßich nicht mehr in Österreich war, als ich die drei endlosen Sonderzüge am Bahnhof sah. Obwohl ein Fensterplatz für 4 Personen berechnet war wurden nur zwei eingeteilt damit sie bei Nacht ihre Sitze in Betten verwandeln und bequem liegen konnten. Dieser Zug war für österreichische Begriffe ein Luxusmodell. Abgesehen von der Lederpolsterung (in Kanada gibt es keine Züge mit Holzbänken) gab es auch je einen Waschraum für Damen und Herren. Diese waren mit Seife, Handtüchern und Kalt- und Warmwasser ausgestattet. Außerdem befand sich im Waggon eisgekühltes Trinkwasser. Wir fuhren die Nacht hindurch, also sah ich Nichts von der Provinz Québec. Nach 14-stündiger Fahrt kam ich in Toronto an, und hatte wieder Gelegenheit die Augen aufzureißen. Der Bahnhof ist wirklich ein Prachtbau in Marmor. Aber noch mehr habe ich über die Disziplin der Reisenden gestaunt. Entlang der Haupthalle sind die Aufgänge zu den einzelnen Bahnsteigen. Diese sind nur offen wenn ein Zug bereit ist Fahrgäste aufzunehmen. Das heißt, daßwenn ein Zug einfährt, die Reisenden in Ruhe aussteigen und den Bahnsteig verlassen können und dann erst werden die Leute hinauf gelassen um einzusteigen. Bei der Bahnsteig tür gibt man die Hälfte der Fahrkarte ab und geht dann noch an einigen Bahnbeamten vorbei, die die Reisenden so geschickt aufteilen, daßman zum Schlußfast alleine bei seinem Waggon ankommt.

Die nächste Station, und mein eigentliches Ziel, war Hamilton. Wieder ein herrlicher Bahnhof, doch diesmal ausschließlich für die C.N.R. (Canadian National Railways), währen der Bahn hof in Toronto für C.N.R. und C.P.R. (P=Pacific) bestimmt war. Ich gab mein Gepäck in die Aufbewahrung und trat auf die Straße. Und dann hatte ich zum ersten Mal das Gefühl in Kanada zu sein. Ich ging durch die Straßen und schaute und schaute immer wieder. Nicht daß es so sehr anders wäre wie in Österreich. Aber irgendwie fühlte man den Unterschied. Die Autokolonnen, die Schaufenster in denen wirklich Nichts fehlte, die Reklame und überhaupt das ganze Straßenbild war anders. Und dann begann ich mir die Sache genauer anzu sehen. Da fiel mir auf, daßdie Menschen im Durchschnitt besser gekleidet sind. z.B. haben die Männer, auch wenn sie ohne Rock gehen, eine Krawatte und lange Hemdärmel, die Frauen, ganz gleich welchen Alters, durchweg ein "makeup" Schulmädchen mit 12 Jahren sind genau so bemalt wie Frauen um die 60. Einen Altersunterschied in der Kleidung sieht man fast nicht, denn während ältere Damen ziemlich helle Farben tragen, sieht man die älteren Herren mit nicht weniger grellen Krawatten und bunten Socken. Aber alle sind tadellos rasiert und tragen blitzend saubere Hemden. Daneben sieht man natürlich auch Männer in der Arbeitskleidung, sie bewegen sich aber genau so natürlich wie die anderen und es fällt auch niemandem ein sie schief anzuschauen.

Als demütiger österreichischer Fußgänger stand ich immer geduldig an den Straßenkreuzungen um den Fahrzeugen den Vortritt zu lassen, bis es mir auffiel, daß die Autos immer so lange warten bis der Fußgänger die Straße überquert. Ganz gleich ob er im Recht ist oder nicht. Der Hauptgrund dafür liegt an den hohen und strengen Strafen für Autofahrer die einen Fußgänger nieder fahren. Aber noch ein anderes Motiv spielt dabei eine Rolle, nämlich daß hier durch die große Verbreitung der Autos, die Kraftfahrer nicht als die Herren der Straße betrachtet werden. Verblüfft hat mich die Tatsache, daß man trotz des gewaltigen Verkehrs den ganzen Tag fast kein Horn hört. Überhaupt muß man sagen, daß sich der Verkehr sehr diszipliniert abwickelt.

Ziemlich überrascht hat mich ein Güterzug, der mitten in der Stadt quer über die Hauptstraße fuhr. Das kommt wahrscheinlich daher, daß die Städte sehr schnell wachsen. Man kann auch in einer modernen Stadt überall krumme, hölzerne Leitungsmaste sehen. Die Züge in Stadtgebieten läuten ununterbrochen, während sie außerhalb der Städte vor jeder Straßenkreuzung pfeifen. Es gibt nämlich keine Bahnschranken sondern nur ein gekoppeltes Blinklicht das auto matisch geschwenkt wird und außerdem Klingelzeichen ausgibt. Damit der Auto fahrer selbst auch nach dem Zug Aus schau hält, hängt eine Tafel "Look, Listen" darüber. Trotzdem liest man ziemlich oft über Unfälle bei den Eisenbahnkreuzungen.

Nach einigen Tagen in Hamilton fuhr ich gute 300 Meilen nach Norden in die Nickelstadt Sudbury. Da ich hier einige Wochen bei einer Baufirma gearbeitet habe, hatte ich die Gelegenheit die kanadische Bauweise kennen zu lernen. Ich muß sagen, daß diese Einfamilienhäuser eine ziemlich miese Angelegenheit sind. Das Einzige Feste daran ist das Fundament (wenn sie eines haben). Alles was darüber ist, ist Imitation. In einem Abstand von einem 1/2 Meter werden Weichholzstücke im Maße von 5x10 cm aufgestellt und dann innen und außen sogenannte "Gyproc" Platten angenagelt. Diese Platten sind circa 2 cm stark und bestehen aus zwei Schichten Pappe mit einer Zement-Sägespäne Mischung dazwischen. In den Hohlräu men zwischen den Platten kommt zur Isolierung Glaswolle. Außen wird Teerpappe angenagelt und darüber wieder Teerpappe, aber diesmal in einer Ausführung daßes vom Weiten entweder wie Ziegel, oder wie Schindeln aussieht. Das ganze Haus ist aus Weichholz und Gyproc, nur der Kamin ist gemauert. Dafür hat jedes Haus eine eingebaute Zentralheizung und die Wasserleitung ist mit puren Kupferrohren installiert. Kästen, Kredenzen, Abwasch, Bade zimmer ist hinein gebaut. Sogar das Polieren des Parkettbodens gehört zur Aufgabe der Baufirma. Wenn das Haus fertig ist sieht es sehr nett aus und vielleicht entspricht es den Ansprüchen dieses Landes. Aber wenn ich wieder einmal in der Wochenschau sehe, daß ein Tornado eine ganze Ortschaft durcheinander wirft, werde ich mich nicht mehr wundern.

Als ich einmal zu arbeiten begonnen hatte und mit den Menschen zusammen kam, konnte ich ihre Lebensart studieren. Und dieser Punkt ist ein Minus für Kanada. Als verheirateter Mann ist man hier genau so arm dran wie irgendwo in der Welt, denn es heißt hier fest Geld verdienen für die Familie. Was es nun an ledigen Männern gibt sind zu einem erschreckend großen Prozentsatz Säufer. Nun gibt es hier aber ziemlich strenge Alkoholgesetze. Man kann nicht in jedem Restaurant zum Essen ein Bier oder einen Wein trinken, denn der Verkauf von alkoholischen Getränken ist auf be stimmte Lokale beschränkt. Hier gibt es nur die sogenannten "beer parlours", in größeren Städten werden auch Bars existieren. Diese beer parlours sind immer voll. Da aber Jugendliche unter 21 Jahren nicht hinein dürfen, außerdem die Lokale am Sonntag geschlossen sind, gibt es für Leute die gerne etwas riskieren eine gute Erwerbsmöglichkeit. Und solche Leute gibt es ziemlich viele; man nennt sie "bootlegger". Auf Deutsch sind das Alkoholschwarzhändler, die ohne Lizenz Bier, Schnapps und Wein verkaufen. Diese Tätigkeit hat sehr regen Zuspruch und man hört von vielen erfolgreichen Geschäftsleuten, daß sie ihr Anfangskapital durch bootlegging verdient haben. Eigenartig ist es bei diesen Bierlokalen, daß Frauen und Männer in getrennten Räumen sitzen. Das ermöglicht den Frauen ungeniert allein auszugehen und sie machen auch Gebrauch von dieser Möglichkeit. Der Unterschied in den Gewohnheiten der Frauen und Männer ist hier nicht so groß, denn hier rauchen fast so viele Frauen wie Männer und sehr viele trinken auch.

Die dezenteren Männer verbringen ihre Freizeit im Billardzimmer und beim Kegelspiel, das hier in sehr schönen, modernen Sälen betrieben wird. Außer diesem Zeitvertreib bleibt dann noch Kino, Tanz und Sport. Die Kinos arbeiten im Nonstop System von 1-12 p.m. Immer zwei Hauptfilme mit Wochen schau und Zeichentrickfilm. Man sitzt so 3 Stunden drinnen. Den Platz kann man sich selbst aussuchen und in den rückwärtigen Reihen kann man rauchen.

Da beim Tanz immer Frauenmangel ist, haben die Frauen bis 9 Uhr freien Eintritt. Im Großen und Ganzen tanzt man sehr ähnlich wie in Österreich, nur hat man hier auch den "Square Dance", eine Art Quadrille, bei der immer 4 Paare eine Gruppe bilden und ein Mitglied der Kapelle sagt die Figuren an. Dieser Tanz ist ziemlich beliebt, wird aber so wild getanzt, daß ich immer in einen geschützten Winkel krieche und von dort aus auf die Schmerzensschreie lausche. Man versucht hier die Eigentums rechte junger Ehemänner und solcher, die es werden wollen zu schützen und läßt an Samstagen das Publikum nur paarweise ein. Außerdem muß man in den meisten Lokalen Mitglied sein. Wenn man als Nichtmitglied eingelassen werden will, muß man mehr zahlen. Ich habe schon einen schüchternen Anfang gemacht und bin schon Mitglied von vier verschiedenen Clubs.

Sport ist hier sehr populär. Jedesmal wenn in der Arena etwas los ist, sieht man die Leute an der Kasse schlangestehen. Jetzt im Winter ist es Hockey, Ringen oder Boxen. Im Sommer Baseball, Football (ähnlich dem Rugby).

Bingo, i.e. Tombola wird auch häufig gespielt. Die etwas bemittelten Klassen veranstalten aber Parties im eigenen Haus und unterhalten sich im Kreise ihrer Freunde. Mir persönlich sagt diese Art der Unterhaltung am besten zu, doch ist es ziemlich schwer einmal in den richtigen Kreis hinein zu gelangen. Es hat auch bei mir ziemlich lange gedauert bis ich ein nettes Fräulein kennen gelernt habe. Wenn man aber das einmal hinter sich hat, dann geht es automatisch weiter.

Bald hätte ich einen sehr wichtigen Faktor der Freizeitgestaltung vergessen, und das ist die Jagd und das Fischen. Ein richtiger Kanadier ist auch ein begeisterter Jäger. Nun ist das hier aber anders als wie in Europa. Ein Gewehr kann jeder kaufen. Und ein jeder kann auch eine Lizenz kaufen. Wenn die hunting Saison beginnt, fährt man allein oder in Gruppen in den Wald und sitzt sich irgendwo nieder, während einige Jagdgenossen durch den Wald streifen und das Wild aufstöbern. Am Montag stehen dann die Namen der Erschossenen Jäger in der Zeitung und das ist ganz verständlich. Erstens schützt man sich vor der Jagd mit Whisky gegen die Kälte, und zweitens hat die Lizenz ja $5 gekostet, also muß man schon zum Schießen kommen, und drittens hat man Jagdfieber. Wenn sich also etwas im Wald rührt, dann mußman die Gelegenheit ausnützen und hinschießen. Es ist mit Rücksicht auf die vielen Unfälle Vorschrift, daß man rote Jacke und Kappe tragen muß. Ich habe in der Zeitung gelesen daß ein Jäger, der einen anderen erschoß, freigesprochen wurde, weil sein Anwalt beweisen konnte, daß die Gegenpartei eine grüne und weiße, also schlecht sichtbare Jacke anhatte.

Das ist Alles was ich über das Privatleben der Kanadier sagen kann. Meiner Ansicht nach ist das nicht die richtige Art sich ein angenehmes Leben zu machen. Die Menschen sind gegen äußerliche Eindrücke irgendwie abgestumpft. Daher kam es auch daß, obwohl man hier ziemlich streng gläubig ist, man von Weihnachten fast nichts gemerkt hat. Wenn ich zurück denke an Österreich, was für Spannung in der Luft Lag, wie man Weihnachten direkt riechen konnte und hier ist es wie ein gewöhnlicher Sonntag gewesen. Man hat viel mehr Wirbel um Silvester gemacht, denn da konnte man tanzen gehen und sich betrinken. Zu meinem Glück war Hollnsteiner hier zu Silvester, denn wenn ich allein gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich wieder Trübsal geblasen wie zu Weihnachten.

Meine Bemühungen ein nettes Fräulein kennen zu lernen haben Erfolg gehabt und so kann ich in meiner Freizeit einmal hier, einmal dort einen Besuch machen und vernünftig plaudern. Das ist schon wichtig denn in solchen Plätzen kann man wirklich Englisch lernen. Hier lernt man auch immer Leute kennen, was natürlich einem Bestreben, sich in einem fremden Land wohl zu fühlen, der wichtigste Faktor ist. Diese meine Bekannten sind auch die Einzigen die sich nicht nur mit mir unterhalten, sondern sich auch die Mühe nehmen Sprachfehler zu korrigieren. Bei den anderen Leuten bekommt man das Gefühl ein perfektes Englisch zu sprechen, denn sie kommen nie auf den Gedanken auf einen Fehler aufmerksam zu machen. Ich muß zur Schande dieser Leute sagen, daß sie meistens selbst ein sehr schlechtes Englisch sprechen. Man findet, glaube ich, nirgendwo anders solche sprachliche Verirrungen wie hier. Tatsächlich gibt es geborene Kanadier, die gebrochen Eng lisch sprechen. Das kommt daher, daß es an manchen Stellen Siedlungen bestimmter Nationalitäten gibt und die Leute immer ihre eigene Sprache sprechen. Die Kinder lernen zwar in der Schule Englisch, doch zu Hause verwenden sie es nicht und so bleibt es bei einem sehr kargen Wortschatz. Ich wohnte eine Zeit in einer finnischen Siedlung, übersiedelte dann aber ziemlich bald, denn ich lernte fast mehr finnische Worte als englische.

Ein anderes Kapitel sind die Franzosen. Sie sind eigentlich French-Canadians, doch nennt man sie im allgemeinen Franzosen. Québec ist eine rein französische Provinz und wie man mir sagte, ist Englisch zwar die Amtssprache doch wird es selbst in den meisten Schulen gar nicht unterrichtet. Hier in Ontario gibt es eine Menge dieser Franzosen, die ihre englischen Kenntnisse auf ihren Fingern abzählen können. Ich habe aber bemerkt, daß jene French-Canadians, die beide Sprachen beherrschen, ein viel schöneres Englisch sprechen als die gewöhnlichen Kanadier. Sehr überrascht hat mich am Anfang die Frage, ob ich aus England käme. Die meisten Leute behaupten ich hätte einen englischen Akzent. Tatsächlich bemühe ich mich sehr dem "Slang" fern zu bleiben.