Unsere Deutsche Wurzeln - Our German Roots
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FESTSCHRIFT ZUR GENERAL-KIRCHENVISITATION 1928:

Teil 1. Begrüßungsschreiben, Das Evangelium im Strehlener Lande, Das Gemeinschaftsfest auf dem Rummelsberge.
Teil 2. Arnsdorf, Crummendorf, Eisenberg, Friedersdorf, Großburg, Hussinetz,
Teil 3. Lorenzberg/ Jäschkittel, Markt-Bohrau, Nieder-Rosen, Olbendorf, Prieborn, Riegersdorf,
Teil 4. Ruppersdorf, Schönbrunn, Schreibendorf, Steinkirche, Strehlen, Türpitz.

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Die evangelischen Kirchgemeinden des Strehlener Kreises.

Kirchspiel/Parish Hussinetz (Friedrichstein), Nieder Podiebrad (Nieder 
Mehltheuer), Ober Podiebrad (Ober Mehltheuer), 
Pentsch, Podiebrad (Friedrichstein)
Hussinetz

Hussinetz.

Von P. Duvinage, Hussinetz.

Unter den Gemeinden des Kirchenkreises Strehlen nimmt Hussinetz eine ganz besondere Stellung ein. Wenn ein Fremder in unsere Kirche zum Gottesdienste kommen würde, so würde er vieles anders finden, als sonst in evangelischen Gemeinden üblich ist. Er sieht einen einfachen schmucklosen Raum, unter der Kanzel steht ein gedeckter Tisch, kein Altar mit Kruzifix und Lichtern, kein Bild, keine Statue befindet sich an den Wänden. Und wie ganz anders der Gottesdienst: keine Liturgie, nur Gebet und Schriftverlesung am Abendmahlstisch, und dann die Predigt, alles umrahmt von Gemeindegesang. Diese Einfachheit des Raumes und des Gottesdienstes weist darauf hin, daß er in einer Gemeinde reformierten Bekenntnisses sich befindet. Aber noch ein anderes wird ihn in Erstaunen versetzen: er könnte glauben, daß er gar nicht in deutschen Landen weilte, denn eine fremde Sprache tönt ihm aus Lied, Gebet und Predigt entgegen. Und er erfährt, daß hier böhmisch oder tschechisch gesungen und gepredigt wird. Wenn er dann durch die zu dieser Kirchengemeinde gehörigen Ortschaften geht, so findet er Dörfer, die sich äußerlich nicht unterscheiden von anderen in dieser Gegend; die Leute, die er trifft, werden ihm wohl auf seinen deutschen Gruß in deutscher Sprache danken; sonst aber wird er wahrnehmen, wie sie untereinander auch in dieser böhmischen Sprache verkehren. Wie sind diese Menschen in die rein deutsche Gegend gekommen, woher stammt der ganz andere Charakter dieser Gemeinde? Die Antwort gibt die Entstehungsgeschichte der Gemeinde.

Hussinetz gehört zu den Jüngsten Gemeinden im Kirchenkreise Strehlen; es ist im Jahre 1749 gegründet worden und verdankt seinen Ursprung der Fürsorge Friedrichs des Großen. Nachdem Schlesien durch den Ersten Schlesischen Krieg bereits in den Besitz Preußens gekommen war, dachte der große König bald daran, den Wohlstand des Landes zu fördern. Vor allem war er darauf bedacht, die nur spärliche Bevölkerung zu vermehren. Dabei schlug er den Weg ein, den schon seine Vorfahren beschritten hatten, er suchte Ausländer in das Land zu ziehen. Seine Blicke fielen auf Böhmen. Von dort her hatten schon seit langen Zeiten Auswanderungen stattgefunden, und zwar der Evangelischen, die um ihres Glaubens willen bedrückt wurden. Evangelische Böhmen hatten namentlich im ehemaligen Königreiche Sachsen eine neue Heimat gefunden; von dort aus waren viele weitergewandert und hatten zur Zeit Friedrich Wilhelms I. in Berlin und im ehemaligen Rixdorf sich niedergelassen. An diese Kolonien knüpfte Friedrich der Große an und beauftragte den böhmischen Exulantenprediger Liberda, der die Ansiedlung in Berlin veranlaßt hatte, in Böhmen neue Kolonisten zu werben, die in Schlesien untergebracht werden sollten. Während Liberda bereits in Böhmen in dieser Sache tätig war, suchte man in Schlesien nach einem geeigneten Orte zur Gründung der neuen Kolonie. Es fand sich dazu die Stadt Münsterberg, wo bereits eine große Anzahl von Evangelischen vorhanden war, die durch den Zuzug der Böhmen verstärkt werden konnte, und wo die wirtschaftlichen Verhältnisse arg daniederlagen. Während die Verhandlungen zwischen den Behörden noch im Gange waren kamen bereits im Februar 1742 die ersten Kolonistenzüge aus Böhmen an, dreißig Mann, und im Laufe eines Vierteljahres wuchs die Zahl der Zuwanderer bis auf 1200. Es war unmöglich, diese Menschenmassen sofort und in zufriedenstellender Weise unterzubringen. Und alle Versuche, die während der nächsten sieben Jahre (1742—1749) gemacht wurden, um ihnen in anderen Gegenden Schlesiens Unterkunft und dauernde Beschäftigung zu verschaffen, schlugen fehl. Man wollte einen Teil von ihnen bei Goschütz im Groß-Wartenberger Kreise, dann wieder bei Tarnowitz in Oberschlesien ansiedeln und nur einen Rest in Munsterberg belassen, aber die Kolonien gingen bald wieder ein, die Ansiedler gingen teilweise nach Polen, in der Hauptsache aber kehrten sie zum alten Stamm nach Münsterberg wieder zurück. Und hier wurde die Not immer größer. Mancherlei Ursachen hatten die Schwierigkeiten herbeigeführt. Die Behörden, die für die Ansiedlung der Leute zu sorgen hatten, waren nicht vorbereitet auf ein so schnelles Anwachsen der Kolonistenzüge, die Einwohner Münsterbergs sahen in den Ankömmlingen lästige Konkurrenten, vor allem aber wollte der König, an den sich Behörden und Kolonisten immer wieder mit Bittgesuchen wandten, kein Geld hergeben für die Unterbringung der vielen Menschen, und nicht zuletzt haben auch die Böhmen selber durch ihr oftmals recht widerspenstiges Verhalten die Arbeit der Behörden erschwert. Namentlich widersetzten sie sich allen Bestrebungen, sie an verschiedene Orten anzusiedeln. Ihr Wunsch war, zusammen zu bleiben und eine geschlossene Kolonie zu bilden.

Endlich sollte aber auch dieser Wunsch erfüllt werden und damit die Stunde der Erlösung für sie schlagen. Die Stadt Strehlen besaß in der sog. Altstadt zwei Vorwerke, die sie schon längst zu veräußern suchte, da sie ihr keinen Nutzen brachten. Als nun der Rat der Stadt von den Absichten der Böhmen hörte, daß sie sich ansiedeln wollten, trat der Bürgermeister mit ihnen in Verbindung und bot ihnen die Vorwerke zum Kaufe an. Die Böhmen gingen willig auf das Angebot ein. Zwar zogen sich die Verhandlungen noch ein Jahr lang hin. Die Einigung über den Kaufpreis und über das von der Regierung zu liefernde Bauholz machten Schwierigkeiten. Auch mußte erst noch für das Kaufgeld gesorgt werden; es wurde durch Kollekten aufgebracht. Endlich kam der Kauf zustande, und der Kaufkontrakt erhielt am 30. April 1749 die königliche Confirmation, der am 20. Mai 1749 die Konzession nachfolgte, daß die beiden Vorwerke zu einem Dorfe vereinigt und angebaut werden dürften. Nun siedelte der größte Teil der Münsterberger Böhmen— 124 Familien mit 507 Personen—nach Strehlen über; ihnen folgten bald andere nach, und am 2. Juli 1749 fand die offizielle Übergabe der Dominien statt. Auf ihrem Boden wurde die Kolonie gegründet, der die neuen Bewohner den Namen Hussinetz gaben.

Ein weiterer Zuzug von Ansiedlern folgte im Jahre 1764 zur Gründung der Ortschaften Ober-, Mittel- und Nieder-Podiebrad, die auf dem Gebiet des ehemaligen Dominiums Mehltheuer geschah. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Kolonie Eichwald von den Böhmen errichtet und Pentsch mit böhmischen Siedlern besetzt. Ebenso erhielt im Laufe des 19. Jahrhunderts von dieser böhmischen Ortschaften aus die Stadt Strehlen und das Dorf Töppendorf starken Zuzug.

Gegenwärtig beträgt die Zahl der Böhmen in allen diesen Gemeinden mit Einschluß mancher noch in den umliegenden Dörfern wohnenden ungefähr 3600. Der Wunsch der ehemaligen Exulanten, daß sie nicht von einander getrennt werden möchten und zerstreut unter den deutschen Bewohnern angesiedelt würden, ist in Erfüllung gegangen. In diesem Umstande aber liegt die Ursache, daß unter ihren Nachkommen die böhmische Umgangssprache bis auf den heutigen Tag sich erhalten hat. An ihr hält auch die heutige Generation noch fest, aber sie ist dabei doch ihrem neuen Vaterlande treu ergeben und beherrscht auch die deutsche Sprache mit großer Vollkommenheit.

Die ehemaligen Ansiedler waren—von einigen Handwerkern abgesehen—durchweg Landwirte. Daneben war die Weberei ein wichtiger Beschäftigungszweig. So ist es auch bis auf den heutigen Tag geblieben, nur daß die Weberei jetzt fast ausschließlich aus den Häusern in die Fabriken übergegangen ist. Seit langen Jahren aber geht ein großer Teil der Bewohner in die Steinbrüche der Umgegend oder findet in der Stadt Strehlen im Maurer- und Zimmererberuf seine Beschäftigung.

Wie aber sind nun diese Leute zu dem reformierten Bekenntnis gekommen, während doch sonst in Schlesien das Luthertum Wurzeln geschlagen hat? Auch diese Frage führt hinein in die ersten Zeiten der Ansiedlung. Die Münsterberger Böhmen wurden allgemein „Hussiten" genannt. Welche ihre Glaubensanschauungen seien, das versuchten die Behörden oftmals festzustellen, ohne darüber zu rechter Klarheit zu gelangen. Sie selbst behaupteten, gleich bei ihrem Auszug Liberda die Bedingung gestellt zu haben, „daß ihnen in Schlesien das göttliche Wort gepredigt werde nach der Confession der böhmischen Brüder, welche 1494 zum ersten und 1607 zum letzten Mal gedruckt worden sei." Jeden falls war es ihr heißestes Anliegen, da sie doch ihr Vaterland sonderlich um ihres Glaubens willen verlassen hatten, ein Gotteshaus und einen eigenen Geistlichen zu bekommen. Aber schon in den ersten Zeiten beginnen die Versuche, sie für das lutherische Bekenntnis zu gewinnen; und diese Versuche gingen nicht bloß aus von den deutschen Geistlichen aus der Umgegend, die ihnen zunächst mit dem Worte Gottes dienten, sondern auch von einem Mann ihrer eigenen Nationalität. Nach dem Tode Liberdas, der schon 1742 starb, war zu ihnen—mit königlichem Auftrage—ein Geistlicher der böhmischen Kolonie aus Berlin, namens Macher, gekommen, der die äußeren und inneren Interessen der Exulanten wahrnehmen sollte. Er trat auch tatkräftig für sie ein, aber auch ebenso stark für sich selber, denn er hoffte, Geistlicher in der zu begründenden Kolonie zu werden, und da er ein eifriger Lutheraner war, so hoffte er weiter, auch die Gemeinde für das lutherische Bekenntnis gewinnen zu können. Freilich mußte er nach einiger Zeit aus Münsterberg weichen, da er sich durch hitziges Wesen mit den Behörden überworfen hatte. Nun sollten sich die Böhmen einen neuen Geistlichen wählen. Sie fanden nach mancherlei Schwierigkeiten einen geeigneten Mann ihrer Nationalität, namens Blanitzki. Er soll ursprünglich in einem katholischen Kloster erzogen worden sein, war dann übergetreten und hatte in Holland Theologie studiert. Von dort kam er als reformierter Geistlicher heim. Aber seine Wahl brachte eine Spaltung in die Münsterberger Böhmen hinein. Macher wirkte von Berlin aus weiter und hatte seine Anhänger in Münsterberg. Diese setzten es durch, daß ein lutherischer Geistlicher namens Pintzger nach Münsterberg kam, und nun zerfielen die Böhmen in zwei Parteien. Jede suchte für ihren Geistlichen die behördliche Bestätigung zu erwirken. Nach manchen Wirren setzte sich Blanitzki durch, aber Pintzger wich nicht, wenn auch seine Anhänger in der Minderheit waren. Blanitzki aber sicherte seine Stellung dadurch, daß er für die Böhmen wiederholt Reisen nach Holland und in die Schweiz unternahm, um ihre materielle Lage zu sichern und namentlich, um ihnen das Geld zum Kauf der Strehlener Vorwerke zu verschaffen. So gewann er sich ihre Herzen, so gelang es ihm, sie immer mehr auf eine Seite herüberzuziehen, und die Folge war, daß die Böhmen allmählich den Namen Hussiten ablegten und dafür sich „böhmisch-reformierte Gemeinde" nannten.

Diese Partei des Blanitzki war es nun, die den Kauf der Strehlener Vorwerke vollzog. Die Anhänger Pintzgers, ungefähr 33 Familien mit 120 Personen, blieben in Münsterberg zurück, sie erhielten sich bis Anfang des 19. Jahrhunderts als eigene Gemeinde. Was aber die reformierte Partei nach Strehlen zog, war nicht bloß die Aussicht, hier eine geschlossene Kolonie gründen zu können, sondern auch der Umstand, daß sie hier ein Gotteshaus haben konnten, das ihren Bedürfnissen entsprach. In der Altstadt Strehlens liegt die Marienkirche, das älteste Gotteshaus der Stadt. Zur Zeit der Einwanderung der Böhmen diente sie als Begräbniskirche. Sie wurde ihnen „zur Übung und Haltung ihres Gottesdienstes" cum iure parochiali von Friedrich dem Großen überwiesen. Mit Freuden nahmen sie von ihr Besitz, und in diesem alten schlichten Gebäude, das ohne Turm, mit einem grauen Schindeldach versehen, hinter hohen Linden versteckt liegt, feiern sie bis auf den heutigen Tag ihre schlichten Gottesdienste nach reformierter Art zu Gottes Ehre.

Vereine: Evang. Frauen-Verein, Evang. Jungmädchen-Verein, Ev. Bund, Gustav-Adolf-Verein.

Hussinetz, evang.-reformierte Kirche

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